Fremdsprachen-Unterricht neu denken Auf der LASIG-Konferenz 2022 diskutieren Pädagog*innen darüber wie inklusive Fremdsprachenlernen umsetzbar ist und gestaltet werden kann.

Unter dem Titel „Reforming the Foreign Language Classroom – Empowering Students to Take Ownership III“ haben die Organisatorinnen Annika Albrecht, Carmen Becker, Leni Dam und Katja Heim zur LASIG-Veranstaltung an den Montessori Campus Berlin Köpenick geladen. Knappe 40 Pädagog*innen sind der Einladung gefolgt und möchten erfahren sowie mitdiskutieren, wie Lernumgebungen gestaltet sein müssen, damit inklusives Lernen auch im Bereich des Fremdsprachen-Unterrichts zum lebendigen Schulalltag werden kann.

„Wir brauchen einen Mind Change im Fremdsprachen-Unterricht“, sagt eine Berliner Englischlehrerin der Sekundarstufe 1. „Wir sollten aufhören zu lehren, sondern den Schüler*innen helfen, die Sprache zu lernen.“ Dieser Mind Change soll inklusives Fremdsprachenlernen ermöglichen und die Schüler*innen in den Mittelpunkt setzen. Doch was bedeutet dieser „Mind Change“ konkret? Wie kann dieses Umdenken gelingen und praktisch umgesetzt werden?

Gemeinsam mit zwölf Jugendlichen des Campus organisierte Annika Albrecht die Abläufe und die Durchführung des Tagesevents. So wird Ownership und Verantwortung direkt praktisch gelebt. Die Jugendlichen kümmern sich mit viel Engagement um die Teilnehmer*innen und Beteiligten, sodass sich alle jederzeit gut informiert und wohl fühlen.

Das spielerische Erstellen von Lehr- und Lernmaterialien der Lernenden führt zur Interaktions-Kompetenz

Im eröffnenden Plenarvortrag führt Prof. em. Lienhard Legenhausen der Universität Münster zunächst das „dilemma of difference“ an: Pädagog*innen können alle Schüler*innen gleich behandeln, sodass sich einzelne Schüler*innen in der Gruppe nicht anders fühlen. Jedoch kann das zur Konsequenz haben, dass sich Pädagog*innen gegenüber Bedürfnissen der Kinder oder Jugendlichen unsensibler verhalten. Eine andere Möglichkeit ist es, die Unterschiede zu betonen und herauszustellen. Die jeweiligen Kinder und Jugendlichen können so eher von Unterstützungen und Ressourcen profitieren. Der Nachteil: Dieser Umgang kann wie ein Stempel wirken, der Kindern aufgedrückt wird. Stigmatisierung ist die Folge. Das Bildungssystem solle sich also den Bedürfnissen aller Schüler*innen anpassen – ohne ihnen einen Stempel aufzudrücken – und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigen. Eine weitere große Herausforderung vieler Bildungseinrichtungen seien die ernüchternden Rahmenbedingungen: mangelnde Barrierefreiheit, große Klassen und wenig Ressourcen. Auch diese wirkten bremsend auf das inklusive Sprachenlernen.

Die große Challenge der Fremdsprachen-Lehrer*innen sei das „Wie“, also der Unterrichtsablauf. Die Pädagog*innen sollten als Lehrende einen Schritt zurücktreten und den Schüler*innen eigene Erfahrungen machen lassen. „Eine Sprache lernen, heißt eine Sprache verwenden“, sagt Legenhausen. Es gehe um die „learner-learner-interaction“. Neben „Mind Change“ wird auch dieser Begriff die Veranstaltung prägen. Es gelte „die Interaktions-Kompetenz der Lernenden zu fördern“, ist Legenhausen überzeugt. Das könne innerhalb der Freiarbeit geschehen, durch das spielerische Erstellen von eigenen Lehr- und Lernmaterialien der Lernenden wie Wortkarten, Brettspiele oder Wort-Memory. Ebenso erfolgreich sind Diskussionen über den Lernfortschritt in der Fremdsprache – Lern-Logbücher und Poster könnten Struktur und Routine geben. Mit den Logbüchern ließen sich die täglichen Übungen dokumentieren und das individuelle Lernen fördern. Die Poster könnten Diskussionen oder Lernprozesse zusammenfassen. „Die Lernprozesse und das Unterrichtserfahren werden zum Lerninhalt“, resümiert Legenhausen. Für eine entsprechend förderliche Lernumgebung braucht es zudem Mitgefühl – Mitgefühl für sich selbst, Mitgefühl beim Lehren, Mitgefühl für die Schüler*innen sowie jener Bedürfnisse.

Die Kinder stehen im Mittelpunkt

Camilla Honkainen-Miller aus Norwegen beschäftigt sich im ersten Talk mit dem Thema Entreneurship als pädagogische Strategie bei jungen Menschen mit Autismus-Spektrum. Wie kann mittels Entreneurship eine größere Lernerautonomie und ein größeres Selbstwirksamkeitsgefühl geschaffen werden? „Die Kinder stehen im Mittelpunkt. Es geht um ihre Einzigartigkeit.“, erklärt Honkainen-Miller. „Richte den Fokus immer auf die individuelle Stärke.“ Dazu ist es notwendig, dass die Kinder und Jugendlichen Verantwortung übernehmen. In Entreneurship-Projekten ist das praktisch und selbstwirksam möglich. So zum Beispiel beim Aufbau und der Führung einer Schul-Cafeteria. Die Kinder und Jugendlichen übernehmen Verantwortung, entwickeln Ideen und sind in sozialer Interaktion – in der learner-learner-interaction. Auch LEGO-Projekte eignen sich, um gemeinsam etwas zu erschaffen und innovative Ideen umzusetzen. Das Wichtigste sei es, den Kindern und Jugendlichen Freiheiten zu geben, sichere Orte zu schaffen und ihnen zu vermitteln, dass sie geliebt werden – so wie sie sind.

„Teacher-learner-interaction“ ist das große Thema von Dr. Peter Schildhauer der Universität Bielefeld. „Unterricht beruht im Wesentlichen auf Interaktion“, ist Schildhauers Grundthese. Es gebe Praktiken, die sehr lehrerzentriert seien und die Schüler*innen entmündigen. Wie schnell das in der Praxis passieren kann, zeigt Schildhauer anhand von Videosequenzen aus einer inklusiven Englischklasse. Darin wird deutlich, dass Lehrkräfte ihren Klassenraum zwar autonomiegerecht organisieren, jedoch in der Aktion mit den Schüler*innen diese Autonomie unterlaufen können. Das passiere beispielsweise in der Art Fragen zu stellen. So sei es kontraproduktiv geschlossene Fragen zu stellen oder Fragen, die nur darauf abzielen die korrekte Antwort zu erhalten. Offene Fragen hingegen förderten die Autonomie.

Miteinander lernen statt Wissen aufzudrücken

Auch in der anschließenden Diskussion sind sich alle einig. „Wir sollten den Schüler*innen keine Fragen stellen, die wir selbst beantworten können.“ sagt eine Lehrerin. „Die Schüler*innen stellen die Fragen schon von selbst.“ „Wir sollten mehr miteinander lernen als unser Wissen aufdrücken zu wollen.“ wird sie von einer anderen Lehrerin unterstützt. Ein Oberstufenlehrer fasst es so zusammen: „Der Fremdsprachen-Unterricht ist oft noch sehr lehrerzentriert.“

Die große Frage, die bleibt: Wie können wir die Lehrer*innenausbildung so verändern, dass in den Schulen Autonomie und inklusives Sprachenlernen Normalität wird?

Die Lehrkräfteausbildung an den Universitäten hat noch Entwicklungspotential, wird in der Diskussion deutlich. Denn die Lehre in der Uni sei teilweise noch immer zu konfrontativ und frontal, aber nicht interaktiv, sind sich alle einig. Es bleibt das Warten auf den großen „Mind Change“ in der Bildung.

Inhalte der Workshops des LASIG-Events:

Leni Dam: „Concrete ideas for inclusion in the foreign language learning environment.“

Im Workshop von Leni Dam arbeiten die Teilnehmenden konkrete und sofort umsetzbare Ideen für eine inklusive Fremdsprachenumgebung aus.

Ewa Gorna: „Students as material creators.“

Ewa Gorna gibt in ihrem Workshop die Möglichkeit, eigenes Material zu erstellen, um zu erleben, was, wie und mit welchem Ergebnis Schüler*innen auch in dem Bereich des Fremdsprachenmaterials selbständig und kreativ werden können.

Katja Heim: „How does an inclusive spirit materialize in school-based foreign language learning?“

Katja Heim untersucht, wie ein inklusiver Spirit in Schulen, dem Fremdsprachenklassenzimmer und in den Interaktionen zwischen Lehrkraft und Schüler*innen erfasst werden kann. In einer lebhaften Diskussion unter allen Beteiligten wird über die eigenen Lernsettings diskutiert.

Annika Albrecht & Carmen Becker: „We are all different-we are all the same!„

Annika Albrecht & Carmen Becker zeigen anhand von Arbeiten der Schüler*innen, dass zwar jedes Individuum unterschiedliche Kompetenzen und Interessen mitbringt, es jedoch auch universelle verbindende Elemente unter den Menschen gibt: Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Wachstum, möchte Dinge erforschen und kommunizieren.