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Schulleiter Jacob Chammon / Foto: Sofus Chammon

„Weil wir überzeugt sind, dass es richtig ist“

Jacob Chammon, Schulleiter der Deutsch Skandinavischen Gemeinschaftsschule hat ein Plädoyer für die Digitalisierung des Unterrichts verfasst. Der Däne kritisiert darin die abwartende Haltung in Deutschland und fordert dazu auf, loszulegen und den Mut zu haben, Fehler zu machen. „Anstatt zu fragen, ob wir neue Medien nutzen sollen/können/dürfen, sollte man sich fragen: Wie setzen wir neue Medien im Unterricht sinnvoll ein?“, meint der Lehrer, der genau das an seiner Schule tut. Er berät auch andere Schulen in Dänemark und Deutschland zu einer für sie passenden Digitalisierungsstrategie, denn Chammon ist überzeugt: „Der Einzug neuer Medien fordert eine andere Didaktik.“

Das Plädoyer erschien im Februar 2019 in Olaf-Axel Burow (Hrsg.): Schule digital – wie geht das? Wie die digitale Revolution uns und die Schule verändert. Beltz 2019  Mit freundlicher Genehmigung des Verlags dürfen wir den Beitrag hier ebenfalls veröffentlichen.

»Warum machen wir es so? Weil wir überzeugt sind, dass es richtig ist« – Ein Plädoyer für die Digitalisierung des Unterrichts

von Jacob Chammon

Seit Monaten arbeite ich intensiv mit einem Kollegen in der Schule an einem neuen Projekt: Wir wollen eine digitale Federmappe für Schüler* in Deutschland erstellen. Eine Federmappe, die mit digitalen Tools gefüllt ist, die man in jede Unterrichtseinheit und in jedes Fach einbauen kann. Tools, die im wahren Leben genutzt werden und nicht »nur« für Schüler und Schulen entwickelt wurden, sondern Tools, die neue Wege ermöglichen und sichern, dass es in der Zukunft z. B. eine digitale Alternative für ein Poster im Klassenraum gibt.
Die Fragestellung in der Überschrift ist in den letzten Monaten immer wieder aufgetaucht: in Gesprächen, unter Kollegen im Lehrerzimmer, in Interviews und bei meiner Recherche für diesen Artikel. Wenn man mit Digitalisierung arbeiten will, muss man den Mut haben, neue Wege zu gehen, Neues auszuprobieren und vor allem Fehler zu machen. Man kann nicht warten, bis ein fertiges, erprobtes Konzept vorliegt. Die Testphase müssen wir machen!
In den vielen Gesprächen, Diskussionen, beim Brainstorming und in der Gestaltung stoßen wir immer wieder auf die gleichen Probleme: Sind die Schulen in Deutschland für die Digitalisierung bereit? Was bedeutet hierbei das weitverbreitete Handyverbot? Dürfen Schüler eigene Geräte einsetzen? Was sagt der Datenschutz? Anstatt zu fragen, ob wir neue Medien nutzen sollen/können/dürfen, sollte man sich fragen: Wie setzen wir neue Medien im Unterricht sinnvoll ein?

* Zur Genderschreibweise: In Skandinavien unterscheidet man nicht zwischen Schülern und Schülerinnen, zwischen Kollegen und Kolleginnen oder Lehrern und Lehrerinnen. Deswegen wird in diesem Artikel auch nur eine Form eingesetzt.


Die Gründung der Deutsch-Skandinavischen Gemeinschaftsschule

Um den Kontext dieser Ideen und Gespräche besser verstehen zu können, stelle ich meine Schule kurz vor. Die Deutsch-Skandinavische Gemeinschaftsschule (DSG) wurde 2012 von einer Gruppe deutscher und skandinavischer Eltern in Berlin als freie Schule unter der Trägerschaft der Montessori Stifung Berlin gegründet. Die pädagogische Leitidee ist eine skandinavische Pädagogik, bei der das Kind im Mittelpunkt seiner Lernentwicklung steht. Die Schule arbeitet in der Grundschule bilingual in drei Sprachlinien: Deutsch-Dänisch, Deutsch-Schwedisch und Deutsch-Norwegisch. In der Sekundarstufe wird die sprachliche Vielfalt fortgeführt.

Nicht alle Schüler lernen im gleichen Tempo. Deswegen lernen die Schüler an der DSG von der 1. bis zur 9. Klasse in heterogenen Lerngruppen. Die Erst-, Zweit- und Drittklässler lernen zusammen, die Viert-, Fünft – und Sechstklässler lernen zusammen und so auch die Siebt-, Acht- und Neuntklässler. Nur die Zehntklässler lernen in einer altershomogenen Gruppe.
Das bedeutet im Alltag, dass Frontalunterricht sehr begrenzt angewandt wird. Die unterschiedlichen Altersstufen und Niveaustufen haben zur Folge, dass man didaktisch anders vorgehen muss. Es ist wichtig, dass der Schüler individuell gefördert und da abgeholt wird, wo er steht. Einige Schüler – z. B. diejenigen, die direkt aus Skandinavien nach Berlin kommen, oder unsere afghanischen Schüler – brauchen mehr Deutschunterricht als deutsche Muttersprachler. Andere Schüler haben großes Interesse an Mathematik und Naturwissenschaften und möchten da einen Schwerpunkt setzen. Wieder andere sind sehr oft in Englisch, belegen deshalb weniger Englisch-Kurse und fokussieren sich stattdessen auf Gesellschaftswissenschaften.
Wenn man als Schule so arbeiten möchte, ist Individualisierung das A und O. An der DSG arbeiten wir deswegen mit den folgenden drei durchgehenden Lernformaten:

  • Freiarbeit/Studienzeit (die Begrifflichkeit ändert sich mit dem Alter der Schüler)
  • Impulse, Kurse, »normaler« Fachunterricht
  • Werkstätten/Projekte

In der Freiarbeit oder Studienzeit arbeiten die Schüler individuell oder in Gruppen mit Arbeitsau rägen oder Projekten aus Kursen oder dem Fachunterricht. Hier werden Inhalte geübt bzw. vor- oder nachbereitet. Klassen- und Fachlehrer betreuen die Studienzeit, in der Grundschule mithilfe der als Erzieher ausgebildeten Lernbegleiter. In den Kursen werden Inhalte aus dem Rahmenlehrplan den Schülern – wenn mög- lich in fächerübergreifenden Projekten – vermittelt. Wir wissen, dass die Welt nicht aus Fächern besteht. Aber wir brauchen die Kompetenzen aus den Fächern, um die Welt und deren Phänomene zu verstehen. In den Werkstätten arbeiten die Schüler noch realitätsbezogener mit dem Stoff. »Non scholae sed vitae discimus!« Sie können zwischen fachlichen, sportlichen und kreativen Werkstätten wählen.

Der Anfang der Digitalisierung

Als Leiter dieser Schule – und mit meinem beruflichen Hintergrund aus dem digitalisierten Dänemark – habe ich zusammen mit dem pädagogischen Team schon am Anfang die Wahl getroffen, die Individualisierung mit einer Digitalisierung der Schule zu verknüpfen, obwohl es zunächst nicht im pädagogischen Konzept vorgegeben war. Die Schule hat ein reformpädagogisches Konzept – und viele Kollegen hatten Schwierigkeiten zu sehen, wie Laptops, interaktive Tafeln und Internetzugänge in den Klassenräumen zu dem freien Konzept passten. Außerdem fehlte es uns bei der Gründung an Geld. Eine freie Schule mit wenigen Schülern muss jeden Cent mehrfach umdrehen. Eltern und Kollegen mussten deshalb überzeugt werden.

Im ersten Schuljahr haben wir vier Laptops gekauft. Die Schüler konnten damit Präsentationen basteln und sich mit einem LAN-Kabel in der sehr spartanisch eingerichteten Bibliothek ins Internet einloggen. Im Laufe des Schuljahres ist die Schülerzahl gestiegen – und die Wünsche der Schüler nach mehr Endgeräten genauso.
Im zweiten Schuljahr sind auch die Anforderungen an die Kollegen gestiegen. In Projektwochen war es notwendig, dass die Schüler nicht nur in Büchern und Bibliotheken recherchieren konnten, sondern auch im Internet. Wir hatten zusätzliche Laptops angeschafft, und die Schüler brachten auch ihre eigenen mit. Um Zugänge zu ermöglichen, hatten wir LAN-Kabel von der Bibliothek in alle Klassenräume über den Flur gezogen. Es sah aus wie Wäscheleinen in Hinterhöfen in Italien – aber es hat (fast stabil) funktioniert.
Die LAN-Kabel reichten aber nicht aus, und ich habe die Geschäftsführung um eine drahtlose Lösung gebeten. Die schnellste und günstigste Variante war es, Fritz-Boxen in jedem zweiten Klassenzimmer zu installieren. Damit konnten die Schüler die schuleigenen Laptops und mitgebrachte Geräte freier nutzen. Aber das System war sehr instabil. Irgendwann sind wir dann an Grenzen gestoßen. Der Wunsch nach mehr Geräten und einem stabilen Internet war nicht zu lösen, bevor die Infrastruktur radikal ge- ändert wurde. Ein ordentliches WLAN und Steckdosen zum Laden in allen Klassen- zimmern waren dringend nötig, bevor die Kollegen und Schüler sinnvoll mit den Geräten im Unterricht arbeiten konnten.
Mithilfe einer dänischen Stiftung wurde im Sommer 2016 ein professionelles WLAN in der Schule aufgebaut, wodurch bis zu 2 000 Geräte gleichzeitig genutzt werden können. In allen Klassenzimmern sind interaktive Tafeln aufgehängt und neue Stromkabel gezogen. Wir haben zurzeit über 45 Laptops und 15 Tablets zur Verfügung, und die Schüler haben abschließbare Locker, in denen mitgebrachte Geräte im Laufe des Tages sicher aufbewahrt werden können.

Widerstände innerhalb der DSG

Ich habe schon erwähnt, dass ich verhandeln musste, um Laptops kaufen zu dürfen. Aber ich muss – immer noch – mit Kollegen und besonders auch mit Eltern »verhandeln« oder zumindest ständig erklären, warum wir als freie, reformpädagogische Schule auf ein so starkes digitales Profil Wert legen.
Eine der Antworten liegt in der demographischen Zusammensetzung der Schülerschaft. Über 70 Prozent der Familien an der DSG haben einen skandinavischen Hintergrund oder haben in Skandinavien gelebt. In Skandinavien sind die Schulen viel weiter in der digitalen Entwicklung als hier in Deutschland. Kollegen, die direkt aus Skandinavien zu uns kommen, sind es zum Teil gewohnt, ohne Bücher und zu 100 Prozent digital zu arbeiten. Auf der anderen Seite stehen Familien, die eine freie Schule aufgrund der reformpädagogischen Werte gewählt haben. Sie sind nicht dafür, dass die Schüler in der ersten Klasse auf interaktiven Tafeln Aufgaben lösen.

Ein Beispiel: Als wir das WLAN installieren wollten, waren einige Eltern besorgt, dass ihre Kinder einer Strahlung ausgesetzt sein würden. »Schule ohne WLAN« – »Lasst die Kinder Kinder sein« waren einige der Forderungen. Als Gegenbeispiel steht ein Elternabend in der Klasse 1 2 3. Hier wurde diskutiert, wann bzw. ob die Schüler Schreibschri lernen sollten. In Skandinavien ist das seit den 70er Jahren ab- gescha . Als ein Vater fragte, was Schreibschri überhaupt ist, wurde er aufgeklärt und hat so reagiert: »Wie altmodisch ist das denn? Gebt doch den Schülern lieber ein iPad!«
Diese Beispiele machen deutlich, dass wir als Schule auf sehr verschiedene Haltun- gen Rücksicht nehmen müssen. Wir müssen Ängste und kritische Fragestellungen zu positiver Mitarbeit wenden. Wie wir das machen, werde ich gleich berichten. Aber um die skandinavischen Lehrer und Eltern zu verstehen, werfen wir einen kurzen Blick auf Dänemark, um zu erklären, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist und wie der Schulalltag aussieht.

Ein Blick auf Dänemark

Dänemark ist, was IT betrifft , eines der fortschrittlichsten Länder der Welt. Schon seit den frühen 80er Jahren spielt IT eine große Rolle in den Schulen (Bundsgård/Pettersen/Puck 2014, S. 12). Seit 1993 wurde vonseiten des Bildungsministeriums auf eine digitale Vernetzung aller Bildungseinrichtungen hingearbeitet. Das hatte zur Folge, dass alle Schulen und Universitäten in Dänemark vor dem Jahr 2000 internetfähig wurden. In den folgenden Jahren hat der Staat viele Projekte und Unterstützungsangebote ins Leben gerufen, um die Qualität des IT-basierten Unterrichts zu erhöhen. Im Jahr 2011 wurden den Schulen 500 Millionen Kronen vonseiten der Regierung und zusätzliche 500 Millionen Kronen vonseiten der Kommunen und Regionen zur Verfügung gestellt (500 Millionen Kronen entspricht in etwa einer Summe von 67 Millionen Euro). Bedingungen zur Erlangung der Gelder waren, die Bandbreiten zu erhöhen, digitale Lernmittel zu kaufen oder in die digitale Weiterbildung des Kollegiums zu investieren. Seitdem gibt es an allen Schulen WLAN und alle Vergleichsarbeiten (»Nationale Tests« in der 2. bis 8. Klasse) sowie einige schriftliche Prüfungen (9. und 10. Klasse) werden online abgelegt.
Eine wichtige Säule bei der Digitalisierung ist die Single-Sign-On-Lösung »UNI-Login«. Das ist eine vom Bildungsministerium beauftragte Lösung, die einen einfachen Login zu allen digitalen Produkten ermöglicht. Schüler, Eltern und Personal bekommen beim Eintritt in die Schule einen Benutzernamen, den sie für den Rest des Schullebens und auch in weiterführenden Schulen und Universitäten behalten. Externe Anbieter, wie z.B. Verlage und andere Anbieter von Inhalten, nutzen das gleiche System.

Die aktuelle Situation an vielen dänischen staatlichen Schulen sei hier kurz zusammengefasst:

  • Die Kommunikation zwischen Eltern und Schule läuft über ein vom Staat betriebenes Intranet. Hier werden Nachrichten geschrieben und Stundenplanänderungen veröffentlicht, hier erfolgt die Anmeldung zum Elternsprechtag.
  • Die Lehrer können sehen, wann und wie oft sich die Eltern einloggen. Je nach Schule müssen Eltern und Schüler sich täglich oder mindestens einmal pro Woche einloggen.
  • Die schriftlichen Zeugnisse (bis zur 8. Klasse ohne Noten) werden hier veröffentlicht.
  • Es gibt keinen Computerraum, aber die Schule verfügt über Laptop- oder Tablet-Wagen, die in die Klasse mitgenommen werden. WLAN sorgt für die Verbindung.
  • In allen Fächern werden digitale Lernmittel zusammen mit analogen Lernmittelneingesetzt.
  • Die Lehrer nutzen in vielen Kommunen eine Lernplattform, auf der Ziele, Kompetenzen und Unterrichtsmaterial für die Schüler und Eltern veröffentlicht werden sowie auch Evaluationen.
  • Die Schulbibliotheken sind in »pädagogische Lernzentren« umgewandelt worden,in denen IT-Experten (fortgebildete Kollegen) den Lehrern und Schülern helfen, digitale Medien sinnvoll im Unterricht einzusetzen. Hier findet auch die Wartung der Geräte statt.
  • In der überwiegenden Mehrheit der Klassenzimmer und Fachräume gibt es entweder interaktive Tafeln oder andere Projektionsmöglichkeiten.
  • Viele Schulen entwickeln sich in Richtung einer »Eins-zu-eins-Schule«. Das heißt: ein Schüler, ein Endgerät. An vielen Schulen bedeutet das, dass die Schüler der 1. bis 6. Klasse ein Tablet und die Schüler der 7. bis 10. Klasse einen Laptop bekommen, weil die Aufgaben der älteren Schüler (u.a. das viele Schreiben) besser mit einem Laptop bewerkstelligt werden können.
  • Bis dahin arbeiten viele Schulen mit »BYOD« – Bring Your Own Device.

Eine Traumwelt?

Wenn ich über Dänemark rede, sagen viele: »Das klingt wie ein Traum!« – und fragen dann, wie alles begonnen hat. Lernen die Schüler in Dänemark jetzt mehr oder besser? Die Antwort ist leider nicht so einfach. Ich habe mit vielen Schulleitern, mit IT-Verantwortlichen in Kommunen und mit Entscheidungsträgern im Bildungsministerium gesprochen. Auf meine Frage: »Gab es Forschungen, die schon damals gezeigt haben, dass Schüler besser und mehr lernen mit Integration von IT?« lautet die Antwort: Nein! Die Forschungen zeigen, dass Schüler in der Arbeit mit Medien motivierter sind. Motivation hat eine positive Einwirkung auf das Lernen. Aber die Entscheidung, WLAN in allen Schulen zu installieren, wurde getroffen, weil die verantwortlichen Politiker der klaren Überzeugung waren, dass es die richtige Entscheidung war.
Gleichzeitig waren viele Lehrer und Medienforscher der Meinung, dass die Schule die Medien der Jugendlichen nicht außen vor lassen sollte. Man spricht von »der parallelen Schule der Medien«, in der sich Schüler in der Freizeit durch IT viel Input und viel Wissen holen. Bauen wir diese Medien nicht in den Unterricht ein, besteht die Gefahr, dass sich Schule und Unterricht noch weiter von dem Alltag und der Lebenswelt der Schüler entfernen und die Schule eine »Parallelgesellschaft « wird (Pilegård Lar- sen/Tu e 2009, S. 151).

Der Einzug der neuen Medien in die Schulen hat dazu geführt, dass 76 Prozent der Schüler in Dänemark laut der ICILS-Studie in 2013 angaben, mindestens einmal in der Woche mit Computern zu arbeiten. Der Vergleichswert für Deutschland ist 31 Prozent (Bundsgård/Pettersen/Puck 2014, S. 74). Das zeigt auch die wissenscha liche Be- gleitung der großen staatlichen Investition in die Digitalisierung der Schulen. Laut Zahlen des Bildungsministeriums nutzen 2017 fast 50 Prozent aller Lehrer in Däne- mark digitale Lernmittel als natürlichen Bestandteil des Unterrichts. 2014 waren es nur 35 Prozent. Die Lehrer finden auch, dass die neuen digitalen Materialien einen positiven Effekt auf Vorbereitung, Durchführung und Evaluation haben (Kristian Ørnsholt beim »Digital Lunch« in Berlin am 7. März 2018).
Ich habe in den letzten zehn Jahren viele Schulen, Kommunen und Bezirke bei der Implementierung neuer Medien im Unterricht begleitet. Einer der Erfolgsfaktoren ist die Weiterbildung des Kollegiums. In vielen Schulen wurden Geräte gekauft, aber die Kollegen nicht einbezogen – oder nicht auf die neue Unterrichtskultur vorbereitet. Dann ist es fast unmöglich, die neuen Aufgaben zu bewältigen. Der Widerstand ist zu groß. Aber da, wo Schulleitungen viel Geld und Zeit in die Weiterbildung der Kollegen investiert haben, sind die Erfolge deutlich zu spüren. Die Kollegen tauschen sich aus, teilen Materialien sowie Ideen und lernen mit und von den Schülern.
Der Einzug neuer Medien fordert eine andere Didaktik, wenn die Lernerfolge steigen sollen. In Odder, einer kleinen Kommune in der Nähe von Århus, haben sämtliche Schüler ein iPad zur Verfügung gestellt bekommen. Seit 2012 haben Forscher der Universität Umeå in Schweden die Klassen und Lernerfolge beobachtet, und in der Hälfte der Klassen hat die Nutzung der iPads – und dadurch die geänderte Unterrichtspraxis – das Lernen positiv unterstützt. Nur in ganz wenigen Klassen wurden die Lernerfolge negativ beeinflusst – aber die Forscher weisen deutlich darauf hin, dass die iPads nicht allein schuld daran waren. Hier trug auch ein nicht-adäquates didaktisches und päda- gogisches Verhalten des Lehrpersonals dazu bei (www.folkeskolen.dk/542272/odder- ipaden-fremmer-laering-i-hver-anden-klasse).

Coaching statt Crash-Course?

Ändert man das Lernen und die Anforderungen an die Pädagogen, ist es klar, dass eine verlässliche Begleitung erforderlich ist. Deswegen ist es als Weiterbildungsinstitut oder als Schulleitung, die Weiterbildungen organisiert oder einkauft, notwendig, ebenfalls neu zu denken. Schüler lernen nicht das Multiplizieren in einem sechsstündigen »Kurs«. Sie sollten mit vielen unterschiedlichen Materialien üben, sie dürfen Fehler machen, und sie müssen alleine und in Gruppen neue Wege ausprobieren, um am Ende das Multiplizieren zu meistern. Eine neue digitale Didaktik lernen Lehrer nicht in einer einmaligen Fortbildung – sie müssen genauso wie die Schüler gut und eng begleitet werden.

In Hvidovre, einer Kommune am Stadtrand von Kopenhagen, habe ich Lehrer, Fachbereichsleiter und Schulleitungen gecoacht. Das Programm nannte sich »Unterricht im Unterricht« und die Lehrerteams konnten einen Lerncoach beantragen, der die Kollegen bei der Planung, Durchführung und Evaluation begleitet. Der Schwerpunkt sollte »digital« sein, und oft hatten die Kollegen Schwierigkeiten, die neuen Geräte sinnvoll im Unterricht einzusetzen. Das Programm beinhaltete 15 Stunden, verteilt auf fünf Sitzungen à drei Stunden in drei Phasen eingeteilt: Vorbereitung – Durchführung – Evaluation.
Als Coach habe ich mich erst mit dem Team getroffen und gemeinsam deren Jahresplanung hinterfragt: Wo würde es Sinn machen, ein Thema, das schon geplant ist, digital zu unterstützen? Mein Job war es, den Kollegen bei der Unterrichtsplanung zu helfen, digitale Medien, Materialien oder Open Educational Resources (OER) – kostenlose Seiten oder Apps, die man im Unterricht via Laptops, Tablets oder Handys einsetzen kann – einzubauen und sie dafür t zu machen. In der Durchführungsphase habe ich entweder die Lehrer im Unterricht als »technischer Supporter« oder Assistent unterstützt – oder ich habe die Kollegen bei ihrer Arbeit in der Klasse beobachtet, um in der Evaluationsphase Feedback zu geben; je nach Wunsch der Kollegen.
Auch die pädagogischen Lernzentren in den dänischen Schulen spielen in den Coachings eine große Rolle. Je nach Größe und Schwerpunkt der jeweiligen Schule gibt es zwei bis fünf »pädagogische IT-Fachbereichsleiter«, die jede Woche Ermäßigungsstunden bekommen, um Zeit für die Coachings der Kollegen zu haben. Sie agieren auch als »digitale Hausmeister« – Personen, die vor Ort helfen können, wenn der Ton auf dem Whiteboard nicht funktioniert oder ein Schüler eine App nicht herunterladen kann. Der Lehrer soll sich, wie beschrieben, immer auf sein Fach, die Pädagogik und die Didaktik konzentrieren – und von Kollegen oder Schülern bei technischen Fragen unterstützt werden.

Das Allerneueste in Dänemark ist im Rahmen des Lehramtsstudiums eine Fokussierung auf »Future Classroom Teachers« (Høst 2017, S. 24 .). Hier werden die Studierenden gezielt im pädagogischen und didaktischen Einsatz von digitalen Kompetenzen im Fachunterricht unterrichtet. Schwerpunkt sind die neuen Bedingungen in den digitalen Schulen. In einem »Future Classroom Lab« erforschen und erproben die Professoren und Studenten neue Wege in der Bildung.

Genau solche innovativen Initiativen sind aus meiner Sicht in Deutschland dringend notwendig. Ein Fokus auf digitale Didaktik sollte überall in den Lehramtsstudien integriert werden. Auf einer Veranstaltung der BitKom, bei der ich im Panel saß, stellte ein junger Lehramtsstudent verzweifelt die Frage: »Wie soll ich auf die Zukunft des Lernens vorbereitet werden, wenn wir in der Uni kein Internet haben und die Professoren mit Overhead-Folien arbeiten?« Meines Erachtens ist das eine Schande. Die Universitäten sollten pädagogische Leuchttürme sein – auch wenn es um digitale Bildung geht!

Was ist guter, digitalisierter Unterricht?

Nun zurück zur DSG: Wie sieht denn eigentlich IT-unterstützter Unterricht bei uns aus? Ja, wie schon erwähnt: Man muss als Lehrer mutig sein, denn die Schüler werden immer mehr können und ein größeres Wissen über die neuen Medien haben als wir. Das ist auch in Ordnung so! Lehrer sollen, wenn technisch etwas schie äu , sich trauen zu sagen: »Das weiß ich nicht – frage bitte einen Klassenkameraden«. Es gibt in jeder Klasse junge Menschen, die die Probleme leicht lösen können und dadurch auch die Anerkennung der Mitschüler bekommen. Nach meiner Erfahrung sind es sogar o die Schüler, die sonst nicht die besten Noten bekommen. Die Lehrer müssen jedoch bei der Arbeit mit neuen Medien im Unterricht noch bessere Didaktiker sein. Sie müssen die fachlichen, medialen und sozialen Ziele vor Augen haben und dazu offene Aufgabenstellungen formulieren, die die Schüler mit Medien lösen können.
Ein Beispiel: Meine Schüler in der jahrgangsübergreifenden Klasse 7-8-9 haben im Englischunterricht mit dem ema »My Future« gearbeitet. Als Abschlussprojekt sollten sie eine Homepage erstellen, auf der sie sich selbst als 30-Jährige vorstellen. Auf der Homepage sollten mindestens ein Bild, ein Text und ein Video, in dem Englisch gesprochen wird, vorhanden sein. Ich habe selbst nie eine Homepage erstellt, aber ich habe den Schülern einen Link zu einem kostenlosen Anbieter gegeben. Sofort kam die Frage: »Darf ich es auch selber koden?« oder »Ich kenne eine andere Seite, wo man Homepages erstellen kann. Darf ich sie nutzen?« Meine Antwort war natürlich: »Klar, solange die Inhalte stimmen«. Ich war sehr gespannt, ob alle beim Abgabetermin etwas liefern würden – und ich wurde nicht enttäuscht. Alle hatten mit gegenseitiger Unterstützung eine Homepage kreiert. Natürlich waren die Ausführungen sehr unterschiedlich, aber so ist es ja bei jeder Abgabe.
Im oben genannten Beispiel spielen Binnendifferenzierung und offene Aufgabenstellungen eine große Rolle. Wie bereits erwähnt, arbeiten wir mit jahrgangsübergreifenden Lerngruppen, und das fordert von allen Lehrkräften, dass sie viele verschiedene Materialien in den Unterricht einbringen. Genau hier können uns die digitalen Medien und Angebote vieles bieten.
Ein anderes Beispiel stammt aus den Lehrwerken, die ich für den DaF-Unterricht in Dänemark geschrieben habe. Hier haben wir QR-Codes im Buch integriert. Beim Scannen des Codes erhalten die Schüler die Tonaufnahme direkt zum Abspielen auf dem Handy oder Tablet. Die Schüler können so individuell mit dem Hörverständnis in ihrem eigenen Tempo arbeiten und werden nicht gestresst, wenn andere Schüler entweder schneller oder langsamer sind. Sie können Teile der Aufnahme wiederholen und überall mit dem Text arbeiten, und sie sind nicht an Lehrer oder Klassenzimmer gebunden.

Ich werde hier kurz skizzieren, wie wir an der Schule digitale Medien einsetzen:

  • In der Freiarbeit werden Laptops und Tablets mit adaptiven Lernmitteln zum Trai-ning eingesetzt (u. a. CampMat und CampEnglish).
  • Alle Schüler und Mitarbeiter haben Zugang zu O ce365, wo Materialien geteiltwerden und Schüler kollaborativ arbeiten können.
  • Digitale Wörterbücher werden in allen Sprachen eingesetzt.
  • In Projekten machen die Schüler die Dokumentation. Sie drehen Filme, erstellendigitale Zeitungen und führen z. B. einen Hort-Blog im Intranet.
  • Im Sprachunterricht führen die Schüler oder die Lehrer ein digitales Portfolio. Dasermöglicht die Evaluation von mündlichen Fähigkeiten.
  • Das Thema »Coding« wird im Rahmen der Werkstatttage schon in der Grundschule angeboten. Hier bauen die Schüler Roboter und arbeiten mit Caliope Minirechnern und LEGO-WeDo.
  • In der Sekundarstufe gibt es das Fach »Produktgestaltung«. Hier lernen die Schüleru. a., wie man digitale Produkte anhand einer »digitalen Federmappe« erstellt. Echte Apps werden mit Unterrichtsinhalten verknüp und die Schüler lernen z. B., digitale Poster oder Comics mit Lerninhalten zu erstellen. Sie drehen Erklär-Videos vor einem »Green Screen« und können z. B. im Mittelalter einen Rundgang machen.

Natürlich arbeiten an der DSG nicht nur Kollegen, die sehr viel Erfahrung mit IT haben. Jedoch ist es uns wichtig, dass die Kollegen sich weiterbilden. Wir versuchen im Rahmen der Teamsitzungen immer einen digitalen Fokus zu haben und ermöglichen einen kollegialen Austausch. Wir haben viele externe Kooperationspartner, Firmen und Start-ups, die uns mit ihrem Know-how unterstützen – und sie kommen auch oft zu uns und stellen Neuigkeiten vor. Für manche Kollegen ist das eine Belastung – ohne Frage –, aber es bringt uns auch immer nach vorne. Wir erleben ganz deutlich, dass die Schüler bei uns in der »Prüfung in besonderer Form« beim Mittleren Schulabschluss (MSA) immer hervorragende digitale Produkte präsentieren.

Die oben genannten Beispiele sollen dazu dienen, die Digitalisierung der Schulen als eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen darzustellen, mit denen wir konfrontiert sind. Eine der größten Herausforderungen ist die Heterogenität der Klassen. Mit neuen adaptiven Lernmaterialien und mit einer noch breiteren Palette von Ausdrucksmöglichkeiten der Schüler (analog und digital) kann der Unterricht besser und interessanter werden. Der Einsatz neuer Medien sollte nicht als Gefahr und Mehr- arbeit gesehen werden, sondern als eine Hilfestellung für die Kollegen – und die For- schung in Dänemark zeigt, dass die Lehrer es genauso empfinden.

Das nächste Projekt

Am Ziel sind wir noch lange nicht. Wir haben wieder Glück gehabt und eine Förderung bekommen, die es uns ermöglicht, unseren jetzigen Kunst- und Werkraum umzugestalten und zu digitalisieren. Mit einem »MakerSpace« möchten wir die analogen, kreativen Bereiche mit der Digitalisierung verknüpfen. Wir wollen den Schülern die Möglichkeit geben, mit 3-D-Druckern zu arbeiten und für NaWi Atome und Moleküle zu bauen, in der Virtual-Reality-Ecke historische Welten nachzubauen und darin Führungen zu machen. Der Musikraum soll mit Rechnern verbunden werden, sodass Aufnahmen möglich sind für die Erstellung von Podcasts und Hörspielen.
Die Idee haben die Kollegen in den kreativen Fachbereichen entwickelt – und die Aufgabe für mich als Schulleiter ist es jetzt, das Projekt zu verwirklichen. Wir werden den Raum auch für andere Schulen öffnen und Workshops für Schüler und Pädagogen anbieten. Wir haben schon jetzt Kooperationen mit Unternehmen abgeschlossen, die ebenfalls die innovative Einstellung fördern möchten, und wir hoffen, damit eine Ver- bindung zwischen Schule und Wirtschaft zu ermöglichen. Die Schule soll ihre Türen öffnen und das »wirkliche« Leben widerspiegeln.

Fazit

Zum Schluss ist es mir wichtig zu betonen, dass man nicht ausschließlich mit Geld und vielen Geräten vorankommt. Es funktioniert, weil mutige Lehrer und Schulleitungen auch mal die Regeln gebrochen und gesagt haben: »Das wollen wir!« Selbst wenn man in der Schule kein funktionierendes WLAN hat und keine Laptops oder Tablets vorhanden sind: Man kann anfangen. Die Schüler haben alles, was wir brauchen, in der Tasche. Sie sind durch ihre Handys mit dem Internet verbunden. Wie gesagt, haben die Lehrer in Dänemark nicht auf ein von oben diktiertes IT-Konzept gewartet – sie haben einfach angefangen. Deswegen lautet meine Bitte an die Kollegen hier in Deutschland: Probieren Sie es aus! Trauen Sie sich! Wagen Sie es, Fehler zu machen! Und warten Sie nicht auf ein Medienkonzept. Die größten Entwicklungen kommen von unten – nicht von oben. Und meines Erachtens ist das Handyverbot an vielen Schulen die größte Gefahr für die Digitalisierung deutscher Schulen!

An der DSG werden wir nach dem Motto »Weiter so!« weitermachen. Warum? Weil wir fest davon überzeugt sind, dass es das Richtige ist! Unsere größte und wichtigste Aufgabe als Lehrer ist es, die Schüler auf die Welt da draußen vorzubereiten. Und die Welt ist digitalisiert! Lasst uns gemeinsam die zwei Welten vereinen, damit wir keine Parallelgesellschaften aufbauen.

Literatur

Bundsgård, J./Pettersen, M./Puck, M.R. (2014): Digitale kompetencer – It i danske skoler i et inter- nationalt perspektiv. Århus universitetsforlag.

Frank, L. (2014): Odder: iPad’en fremmer læring i hver anden klasse. In: Folkeskolen, www.folkesko- len.dk/542272/odder-ipaden-fremmer-laering-i-hver-anden-klasse.

Høst, U. (2017): De bliver lærere i fremtidens digitale skole. In UCC Magasin #19, februar 2017.

Pilegård Larsen, Ch./Tu e, B. (2009): Medier og medieundervisning. Gyldendal.

Ørnsholt, K. (2018): Digital education in Denmark. Vortrag des Leiters des Büros Digitalisierung inder »Danish Agency for IT and Learning« im Bildungsministerium bei Rambøl Berlin am 7. März 2018.

Dieser Text erschien im Februar 2019 in Olaf-Axel Burow (Hrsg.): Schule digital – wie geht das? Wie die digitale Revolution uns und die Schule verändert. Beltz 2019. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags dürfen wir ihn hier ebenfalls veröffentlichen.

Jacob Chammon wurde 1980 in Dänemark geboren. Der ausgebildete Lehrer für Dänisch, Geschichte, Musik und Deutsch als Fremdsprache lebt seit 2011 in Berlin. 2012 übernahm er die Leitung der Deutsch Skandinavischen Gemeinschaftsschule in Berlin-Tempelhof. Er möchte Digitalisierung und Schule verknüpfen, damit keine Parallelwelten entstehen. Denn unsere Kinder sind längst in der digitalen Welt zuhause.