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Selbstausdruck begeistert Kinder für Fremdsprachen
Der Fremdsprachenunterricht ist fast überall testorientiert und basiert auf standardisiertem Lernen, selbst an einigen Montessori-Schulen. Das lässt wenig Raum für die persönlichen Interessen der Lernenden und deren Persönlichkeitsentwicklung, was oft frustriert und Begeisterung für Fremdsprachen kommt selten auf. Dabei liegen gerade in den Fremdsprachen und ihrem klaren Bezug zur Lebensrealität große Potentiale für ein Lernen voller Neugier und Tatendrang.
Neue Lernformate
Um diese Potenziale aufzugreifen haben Annika Albrecht und Natalia de Olavarrieta, Fremdsprachenpädagoginnen der Montessori Stiftung Berlin, in den vergangenen Jahren neue Lernformen entwickelt und setzen sie in den Schulen der Stiftung um. Diese Formate stellen Kinder und Jugendliche konsequent in den Mittelpunkt: Sie dürfen eigenen Interessen und Bedürfnissen folgen und daraus Projekte ableiten. Anstatt Lehrbuchinhalte zu reproduzieren, übernehmen sie Verantwortung für den eigenen Lernprozess und werden kreativ. Sie haben Raum und Gelegenheit, die Komplexität ihres Selbst zu erfahren und auszudrücken, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen und dem ihnen innewohnenden Drang zur Perfektionierung der eigenen Sprachfertigkeiten folgen.
„Viele Schülerinnen und Schüler sagen, sie hätten zum ersten Mal gerne in der Fremdsprache gearbeitet“
Seit Dezember 2018 geben Annika Albrecht, Natalia de de Olavarrieta und Prof. Dr. Carmen Becker, die die Entwicklung wissenschaftlich begleitet, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in einem Zertifikatskurs Fremdsprachen weiter. Wir haben mit Annika Albrecht über den Kurs gesprochen:
Annika, warum sollte ich als Fremdsprachen-Lehrer an Eurer Ausbildung teilnehmen und ein zusätzliches „Zertifikat Fremdsprache“ erwerben?
Annika Albrecht: Im Idealfall, weil Du Deinen Unterricht in einen lebendigen Raum verwandeln möchtest, in dem Deine Schülerinnen und Schülern mit Begeisterung nach den passenden Worten forschen, unbedingt wissen wollen, wie man dies und jenes sagt und gar nicht merken wie die Zeit vergeht, weil sie hoch konzentriert arbeiten. Wenn Du den Wunsch verspürst, Fremdsprachen anders zu lehren als das bisher üblich ist, Dir die Bedürfnisse, Ideen und eine individuelle Förderung der einzelnen Kinder wichtig sind, bist Du hier richtig. Wenn Du Kreativität in den Kindern wecken und fördern möchtest und meinst, dass es gut ist, externe Kontrolle nach und nach durch Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung zu ersetzen, dann solltest Du Dich anmelden.
Was genau lerne ich als Kursteilnehmer/in?
Du lernst zwei pädagogische Konzepte kennen, mit deren Hilfe Du die Unterrichtsgestaltung an die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen und Entwicklungsstufen anpassen kannst: die Montessori-Pädagogik und den Autonomen Fremdsprachenerwerb. Mit ihrer Hilfe kannst Du das Kind in den Mittelpunkt des Spracherwerbs stellen und kreative Projekte mit einer hohen organischen Differenzierung anbieten. Alles dreht sich dann um den Selbstausdruck der Schülerinnen und Schüler. Du lernst, wie Du den Rahmen dafür setzt und eine entsprechende Lernumgebung vorbereitest, wie Du die Lernenden bestmöglich unterstützt und individuell begleitest.
Und das funktioniert?
Ja, das funktioniert. Wir erleben Schülerinnen und Schüler, die mit Begeisterung an ihren Projekten arbeiten, dabei im Handumdrehen ihren Wortschatz erweitern und wesentlich schneller ein Gefühl für die Sprache bekommen als im klassischen Unterricht. Die bisherige wissenschaftliche Forschung belegt, dass insbesondere die selbstbestimmte Kontrolle über den Lerninhalt während der Projekte und die Möglichkeiten zum Selbstausdruck zu einer hohen Selbstdisziplin und dem Drang zur Perfektion führen.
Sehr spannend ist auch, dass einige Schüler/innen sogar ihre Familie und Freunde mit in die Arbeit einbinden. Sie suchen sich außerhalb der Schule Experten, die sie dabei unterstützen, ein ansprechendes Produkt ihrer Arbeit abzuliefern. Die Schulwände werden sozusagen durchlässig und die Arbeit in der Fremdsprache wird zu einem bedeutungsvollen Tun im Alltag der Kinder und Jugendlichen.
Was sagen die Schülerinnen und Schüler dazu?
Viele Schülerinnen und Schüler sagen, sie hätten zum ersten Mal gerne in der Fremdsprache gearbeitet. Denn sie sehen plötzlich einen Sinn darin. Einen Sinn, der über den bloßen Spracherwerb hinausgeht. Das ist der wesentliche Vorteil dieser Methode, der alles andere nach sich zieht. Der Fokus auf den Selbstausdruck fördert die Erweiterung des individuellen Wortschatzes und ermöglicht es, die eigene Ausdrucksweise in der Fremdsprache anzuwenden. Jedes Kind begibt sich auf seinen ganz individuellen Weg, sucht sich das, was es braucht, um sich auszudrücken und konstruiert so in der Auseinandersetzung mit der Realität seine Persönlichkeit – auf Englisch, Spanisch oder Französisch. Die Methode reduziert nicht nur den gefühlten Druck, der zu Lernblockaden führen kann und Lernende daran hindert, ihr volles Potential zu entfalten. Sie integriert auch den Selbstaufbau der Persönlichkeit in den Bereich des Fremdsprachenlernens und befreit die Lernenden von lernbezogenen Problemen wie Ängsten, Unter- oder Überforderung.
Ist der Kurs auch etwas für Fremdsprachen-Lehrer*innen an Montessori-Schulen?
Auf jeden Fall! Maria Montessori äußerte sich nur wenig zum Fremdsprachenerwerb, betonte lediglich an mehreren Stellen, wie wichtig er ist. An vielen Montessori-Schulen wird der Fremdsprachenunterricht deswegen als etwas „Fremdartiges“ angeboten, also als Unterricht im klassischen Setting, was oft zu Frustrationen bei Lernenden und Pädagogen führt. Mit dem Autonomen Fremdsprachenerwerb, den wir auf die von Maria Montessori definierten sensiblen Phasen und humanen Tendenzen abstimmen, haben wir ein Tool entwickelt, mit dem wir das Fremdsprachenlernen ganz im Sinne von Maria Montessori gestalten können: selbstbestimmt, kreativ, im Sinne des Selbstaufbaus, in einem festen Rahmen und individuell begleitet.
Woher habt Ihr Eure Expertise?
Das Konzept, das wir in dem Kurs vorstellen, ist in jahrelanger praktischer Erfahrung entstanden. Ich selbst arbeite seit 2005 als Fachpädagogin für Englisch an der Freien Montessori Schule Berlin. Dort habe ich zusammen mit Natalia de Olavarrieta das Internationale Klassenzimmer aufgebaut. Gemeinsam mit Carmen Becker, Professorin für Didaktik der englischen Sprache an der TU Braunschweig, begleiten wir die Arbeit wissenschaftlich, untersuchen die Ansätze und entwicklen sie fortlaufend weiter.
Zertifikatskurs Fremdsprachen
Der nächste berufsbegleitende Zertifikatskurs Fremdsprachen: Unterrichtsgestaltung auf Grundlage der Montessori-Pädagogik und des Autonomen Fremdsprachenerwerbs beginnt im Februar 2021 in Berlin.
Weitere Informationen zum Kurs finden Sie hier: