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Unsere Welt – Unsere Kinder – Unsere Verantwortung
Vom 7.-9. Oktober 2016 beschäftigten sich 442 Menschen aus dem Bildungsbereich mit dem Thema Verantwortung. Beim 17. Montessori Europe Kongress diskutierten sie in Berlin-Adlershof, wie sich unser Bildungssystem verändern muss, damit es Menschen hervorbringt, die sich ihrer Verantwortung gegenüber der Welt, in der sie leben, bewusst sind.
Immer wieder kreuzten vergangenes Wochenende Gruppen von Lehrern und Erziehern die Rudower Chaussee in Berlin-Adlershof. Sie waren auf dem Weg zu einem Vortrag, Workshop oder Forum des 17. Montessori Europe Kongresses, der verteilt an verschiedenen Orten im Wissenschafts- und Technologiepark stattfand. 442 Pädagoginnen und Pädagogen, Bildungsexperten, Vertreter von Ministerien und Schulträgern waren der Einladung von Montessori Europe und der Montessori Stiftung Berlin gefolgt, um sich unter dem Motto „Verantwortung – der Kern der Montessori-Pädagogik“ über die aktuellen Entwicklungen und Herausforderungen der Bildung von Kindern und Jugendlichen auszutauschen. Die Kongresssprache war Englisch, denn es waren Menschen aus allen europäischen Ländern, von Russland bis zur den Britischen Inseln, und sogar Leute aus den USA, Neuseeland und China angereist.
Verantwortung und Vertrauen schaffen eine bessere Welt
Die Teilnehmenden verband der Wunsch, Bildung neu zu denken, unsere Kinder mit einem ganzheitlichen und nachhaltigen Ansatz auf eine Zukunft vorzubereiten, in der der Mensch die Erde nicht mehr zerstört, sondern sich wieder als Teil davon empfindet. Eine Welt, in der alle Menschen, unabhängig von ihrem Hintergrund, friedlich miteinander leben.
Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, ist die Übernahme von Verantwortung für sich selbst und andere unabdingbar. Und um Verantwortung zu lernen, brauchen Kinder und Jugendliche unser Vertrauen; Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Vertrauen in ihren selbstgewählten Weg. „Ihnen dieses Vertrauen zu schenken und sie auf ihrem Weg zu begleiten, ohne sie zu kontrollieren oder zu bevormunden, das ist die Verantwortung der Erwachsenen“, sagte Claus-Dieter Kaul, Pädagogischer Leiter der Montessori-Akademie Biberkor (ehem. „Institut für ganzheitliches Lernen“). „ Dazu ist es unbedingt notwendig, auch und immer wieder die eigene Geschichte und Perspektive zu hinterfragen. Denn niemand ist frei von hindernden Denkmustern.“

Claus-Dieter Kaul, Pädagogischer Leiter der Montessori-Akademie Biberkor, appelliert an die Verantwortung der Pädagogen und Eltern, sich selbst zu reflektieren. (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann und Appl
Raus aus der Schule – rein ins Leben: Verantwortung lernen in der Pubertät
Ein Schwerpunkt des Kongresses war die Neugestaltung des Lernens in der Sekundarschule. Die Angebote dazu stießen auf großes Interesse. Maria Montessori formulierte ihr Oberschulkonzept u.a. im „Erdkinderplan“ ab 1935. Darin beschrieb sie die Notwendigkeit, Heranwachsenden in der Pubertät Herausforderungen anzubieten, an denen sie geistig, körperlich und seelisch wachsen können, in einer Gemeinschaft. Ulrike Kegler, die Leiterin der staatlichen Montessori Oberschule Potsdam, präsentierte in ihrer Keynote die Erfahrungen der Jugendschule am Schlänitzsee, in der Jugendliche genau das tun können. Sie übernehmen Verantwortung, setzen eigene Ideen und Projekte in der Gruppe um – und reifen so zu selbstbewussten Persönlichkeiten heran, die eher mutig als ängstlich in die Welt gehen. Im anschließenden Forum teilten auch andere Projekte ihre Erfahrungen. Viele Schulen wünschen sich eine Umsetzung des Erdkinderplans. Die Ansätze und Voraussetzungen sind verschieden. Während einige die Arbeit mit und in der Natur als unabdingbar für das Begreifen der Welt erachten, sehen andere auch in einer urbanen Umgebung Potenzial, Verantwortung zu lernen. Einigkeit bestand darin, dass Heranwachsende zwischen 12 und 15 Jahren raus aus dem Klassenzimmer und rein ins Leben müssen.

Ulrike Kegler, Leiterin der staatlichen Montessori Oberschule Potsdam erläutert die Erfahrungen aus neun Jahren Jugendschule am Schlänitzsee. (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann und Appl

Angeregt und inspiriert diskutieren die Teilnehmenden über Erfahrungen und Möglichkeiten eines anderen Lernens in der Oberschule. (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann und Appl
Zur Sekundarschulvision von Maria Montessori gehörte nicht nur eine Jugendschule. Sprachenlernen und internationaler Austausch sind ebenfalls Teil des ganzheitlichen Konzeptes. Annika Albrecht und Natalia de Olavarrieta, die für die Internationalisierung der Schulen in Trägerschaft der Montessori Stiftung Berlin zuständig sind, zeigten in ihrem Workshop, wie ein interkulturelles Konzept, das weit über den Fremdsprachenunterricht hinausgeht, unsere Kinder zu Weltbürgern macht. Der persönliche Kontakt zu Gleichaltrigen aus anderen Ländern als Gast und Gastgeber sowie praktische Tätigkeiten im Ausland sind dafür notwendig. Ein autonomes Sprachenlernen und soziale Kontakte innerhalb eines durch die Pädagogen gesetzten Rahmens, der als vorbereitete Umgebung dient, sind die Kompenenten des Erfolgsrezepts. „Die jungen Erwachsenen sollen sich später nicht mehr von irgendwelchen Grenzen oder Ängsten vor dem Unbekannten auf ihrem Weg aufhalten lassen“, fasst Annika Albrecht das Ziel ihres Konzeptes der Internationalisierung zusammen. Ehemalige Schüler der Freien Montessori Schule sind der Beweis, dass es aufgeht. Eine Ehemalige wird per skype live aus Island in den Workshop geschaltet, wo sie gerade an einem mehrwöchigen Akrobatik-Projekt teilnimmt, das es so in Deutschland nicht gibt.

Annika Albrecht, hier im Gespräch mit Pädagogen aus Norwegen und Chemnitz beim Forum 4, ist bei der Montessori Stiftung Berlin für das Thema Internationalisierung zuständig. (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann und Appl
Selbstbestimmt zum Schulabschluss
Montessori erkannte bereits vor 100 Jahren, was die moderne Hirnforschung heute belegt: Erst nach der Aufbruchsphase der Pubertät sind die jungen Menschen wieder aufnahmefähig für abstrakte Lerninhalte. Dann können sie sich in einer universitären Lernumgebung gezielt auf ihre Schulabschlüsse vorbereiten. Die Evangelische Schule Berlin Zentrum, der Montessori Campus in Hofheim und das Heltberg-Gymnasium aus Norwegen präsentierten in einem Forum ihre Oberstufenkonzepte. Es wurde deutlich, welche Vorteile ein selbstbestimmtes Lernen in der Abiturphase bringt; wie zielstrebig junge Menschen arbeiten können, wenn sie anstelle von Druck vernetzt und frei lernen dürfen.
Viele Teilnehmende trugen sich für die neue Arbeitsgruppe „Secondary Education“ von Montessori Europe ein, die ab sofort Aktivitäten und Erfahrungen im Bereich Oberschule und Oberstufe in ganz Europa und darüber hinaus vernetzen und voranbringen wird.
Große Themenvielfalt von 0 bis 18 Jahren
Auch für die Altersgruppen 0-3, 3-6 und 6-12 Jahre gab es in Adlershof spannende Vorträge und Workshops. Das unbegrenzte Potenzial der Kinder unter drei Jahren, biliguale Kindergärten oder innovative Ansätze im Mathematikunterricht standen zum Beispiel auf dem Programm. Es stellten sich zahlreiche Projekte vor, wie das Montessori Model United Nations (MMUN). Die Initiative bildet mit Schülern die UN-Vollversammlung nach. Sie werden in Gruppen Ländern zugeordnet und sollen die Interessen dieser Länder vertreten. Was sie hierbei lernen, geht weit über Fachwissen in Politik, Wirtschaft und Geografie hinaus. Sie erleben Macht und Unterdrückung. Sie üben, Konflikte friedlich zu lösen und Kontakte zu pflegen. Einen anderen Zugang zu Bildungsinhalten schaffen – darum ging es bei allen Beiträgen und Veranstaltungen auf dem Kongress. Praktische Erfahrungen, Selbstreflexion und Begeisterung gehören immer dazu.

Großen Applaus gab es im vollbesetzen WISTA Conference Center für die Eröffnungsshow, gestaltet von Schülerinnen und Schülern der Freien Montessori Schule Berlin (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann/Appl
Für Begeisterung bei den Teilnehmenden sorgte die Eröffnungshow des Kongresses, gestaltet von Schülerinnen und Schülern der Freien Montessori Schule Berlin, am Freitagabend. Am Samstagabend waren Teilnehmer und externe Zuschauer von der Lesung bislang unbekannter Texte der Berliner Pädagogin Clara Grunwald tief berührt, die von jüdischen Liedern begleitet wurden. Inspiriert, voller Eindrücke und mit E-Mail-Adressen von Mitstreitern an anderen Orten dieser Welt in der Tasche reisten die Teilnehmenden am Sonntag ab. Viele von ihnen werden sich beim 18. Montessori Europe Kongress, vom 3.-5. November 2017 in den Niederlanden, wiedersehen.

Abschlusspodium des 17. Montessori Europe Kongresses mit (v.l.n.r.) Marvin Reyes, Ulrike Kegler, Michael Rubinstein, Annemieke Mol Lous und Prof. Stefaan E. Cuypers (c) Montessori Stiftung Berlin/ Kretschmann und Appl